Danny Leder

Altneuer Judenhass in Frankreichs Vorstädten

Die gefährliche "Weltanschauung" eines Teils der Migrantenjugend

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Einleitung

Unter den zahlreichen, potentiellen Nebenschauplätzen des israelisch-arabischen Konflikts ist, zumindest in Europa, Frankreich das heikelste Terrain. Das hat kaum mit dem Nahost-Kurs der französischen Staatsführung, der Berichterstattung der örtlichen Medien oder der Einstellung der französischen Mehrheitsbevölkerung zu tun, sondern ist vielmehr das Ergebnis des Zusammentreffens von kolonialhistorisch bedingten, gewichtigen ethnisch-religiösen Spannungsfaktoren und einer seit über zwanzig Jahren andauernden sozialen Krise.

So zählt kein anderes Land in Europa derartig viele Moslems (annähernd fünf Millionen) und Juden (rund 600.000). Beide Bevölkerungsgruppen stammen mehrheitlich aus Frankreichs Ex-Kolonien im Maghreb, dem arabischen Nordwestafrika, und leben teilweise heute noch, Tür an Tür, in jenen städtischen Randzonen, die am stärksten unter sozialer Zerrüttung leiden.

In diesem Kontext kam es in Frankreich zu den meisten antijüdischen Vorfällen, die in den Jahren 2000 bis 2005 in Europa, parallel zur zweiten palästinensischen Intifada, registriert wurden. Der überwiegende Teil der Übergriffe gegen Juden wurde von Jugendlichen aus moslemischen Einwandererfamilien aus Nord- und Schwarzafrika verübt und ereignete sich in einer Grauzone zwischen emotionaler Strahlwirkung des Nahost-Konflikts, radikal-islamischer Propaganda, archaischer, aus dem Maghreb herrührender Stigmatisierung der Juden, familiärer Verwahrlosung sowie genereller Jugendgewalt in sozialen Krisenzonen.

Nach einer anfänglichen Phase des Zögerns und der Hilflosigkeit reagierten Frankreichs Staatsführung und Behörden besonders energisch auf antijüdische Übergriffe, woraufhin 2005 ein Rückgang dieser Vorfälle verzeichnet wurde. Dabei dürfte allerdings auch die zeitweilige Entspannung im Nahost-Konflikt rund um den israelischen Rückzug aus Gaza eine Rolle gespielt haben.

Diese ansatzweise Entspannung wurde aber im Februar 2006 durch eine unglaublich grausame Tat jäh unterbrochen, die sich genau an der Schnittstelle zwischen brachialster Jugendkriminalität und antijüdischem Ressentiment ereignete: die dreiwöchige Entführung und qualvolle Ermordung eines jungen Juden durch eine Pariser Vorstadtbande. Rahmenbedingungen und Tathergang dieses Verbrechens signalisierten die Verfestigung bei einem Teil der franko-arabischen, franko-afrikanischen und franko-karibischen Vorstadtjugend einer gefährlich-geläufigen anti-jüdischen "Weltanschauung". Als charismatischer Träger dieser Ideologie hatte sich der populärste schwarze Komiker und Bühnenautor Frankreichs, Dieudonné M'Bala M'Bala, profiliert. Der Judenhass dürfte auch die eigentliche Grundlage gewesen sein für die spektakuläre Annäherung zwischen M'Bala M'Bala und dem weiterhin bedrohlich populären Rechtsaußen-Tribun Jean Marie Le Pen, die im November 2006 Frankreichs Öffentlichkeit überraschte.


Die Ermordung des Ilan Halimi

Am 13. Februar 2006 wurde Ilan Halimi, ein 23-jähriger Jude, gefesselt, geknebelt und nackt in der Nähe eines Pariser Vorstadtbahnhofs gefunden. Sein Körper war mit Schnitt- und Brandwunden übersäht. Er starb noch während seiner Einlieferung ins Krankenhaus.

Halimi, der als Verkäufer in einem Telefongeschäft gearbeitet hatte, war drei Wochen zuvor von einem Mädchen zu einem Rendezvous gelockt und dort von einer Bande junger Vorstädter überwältigt worden. Die Entführer hielten ihn im Keller eines Plattenbaus gefangen, während sie von seiner Familie Lösegeld forderten. Die Mutter, eine Angestellte mit einem kleinen Einkommen und Alleinerzieherin von drei Kindern, konnte erst die geforderte Summe nicht auftreiben. Als der geschiedene Vater doch noch das Geld zusammenbrachte, scheiterte die Übergabe an der chaotischen Vorgangsweise der Entführer.

Nach Auffliegen der Entführerbande wurde deutlich, wie sehr bei diesem Verbrechen antijüdische Klischees und Judenhass ins Gewicht gefallen waren. Der Chef der Tätergruppe und mutmaßliche Mörder von Halimi, der 25-jährige Franko-Afrikaner Youssouf Fofana, hatte, laut Aussagen festgenommener Komplizen, seine ausdrückliche Absicht, einen Juden zu entführen, folgendermaßen begründet: "Die Juden sind die Könige. Sie fressen das Geld des Staats, während der Staat uns, Schwarze, als Sklaven betrachtet."

Nach der Ermordung Halimis war Fofana in die Heimat seiner Eltern, die Elfenbeinküste, geflüchtet. Dort unternahm er allerdings keine Anstalten, um sich zu verstecken, sondern gab in einem Restaurant, im Beisein seiner Freundin, einem französischen TV-Team ein Interview: darin bekannte er sich zur Entführung Halimis, versuchte aber die Schuld an der Ermordung des Entführten auf seine - zumeist jüngeren - Komplizen abzuwälzen.

Gegenüber der Öffentlichkeit und den Behörden der Elfenbeinküste präsentierte sich Fofana als eine Art Widerstandskämpfer der Schwarzen in Frankreich gegen den Rassismus der Weißen. Auf Druck der französischen Regierung wurde er aber festgenommen und an Frankreich ausgeliefert. Bei ersten Verhören, noch vor seiner Auslieferung, hatte Fofana erklärt: "Ich wollte einen Juden entführen, weil diese Gemeinschaft Geld hat und zusammenhält. Das Lösegeld hätte diese mächtige Diaspora leicht aufbringen können." Gemäß dieser Maxime war Fofana mit seinen Geldforderungen bei einem x-beliebigen Rabbiner telefonisch vorstellig geworden, nachdem sich herausgestellt hatte, dass Halimis Familie doch nicht reich war.

Während seiner Gefangenschaft wurde Halimi immer wieder von Entführern schwer misshandelt, weil diese, wie aus Verhörprotokollen hervorgeht, "Juden nicht mochten". Die 22-köpfige Tätergruppe bestand zum Großteil aus jungen franko-arabischen und franko-afrikanischen Moslems (wie Fofana) beziehungsweise zum Islam konvertierten Jugendlichen aus (christlichen) Familien, die von den französischen Karibik-Inseln stammen.

Dieses Verbrechen löste zwar eine Welle öffentlicher Entrüstung aus. In Paris und am Tatort nahmen auch Nord- und Schwarzafrikaner sowie moslemische Würdenträger an Trauermärschen teil. Gleichzeitig kam es aber wieder zu einem Anstieg gewaltsamer Übergriffe gegen Juden in Vorstädten seitens junger Schwarzer, so als hätte die Ermordung Halimis eine perverse Beispielwirkung. Vereinzelt tauchten sogar Plakate auf, die zu Geldspenden für Fofana, nach dessen Auslieferung nach Frankreich, aufriefen.

Eine kleine, aber militante schwarze Separatistenbewegung, "Tribu Ka" (wörtlich: der Stamm der Ka), ging noch einen - gefährlichen Schritt - weiter: annähernd 50 ihrer Aktivisten marschierten in geschlossener Formation und mit Drohgebärden an einem strahlenden Sonntagnachmittag im Mai 2006 durch die Rue des Rosiers. Die schmale Gasse im Herzen des ältesten jüdischen Viertels von Paris war zu diesem Zeitpunkt voll von gemütlich flanierenden Familien und Urlaubern, die von dem aggressiven Durchzug überrascht wurden. Als Vorwand für den Aufmarsch dienten Gerüchte, wonach bei einer ersten jüdischen Trauerkundgebung nach der Ermordung von Halimi ein schwarzer Passant von Anhängern der rechten jüdischen Jugendbewegung "Betar" geschlagen worden sei. Außerdem drohte die "Tribu Ka", sie werde an Rabbinern Vergeltung üben, sollten Juden "auch nur ein einziges Härchen von Youssouf Fofana krümmen".

Innenminister Nicolas Sarkozy bezeichnete anderntags die "Tribu Ka" als potentielle "Pogromisten" und leitete ein Verbotsverfahren ein. So verworren ihre Ideologie auch erscheinen mag (ihr Führer predigt die "Überlegenheit der Dunkelhäutigen") und so gering auch ihre Mitgliederzahl sein dürfte, so sehr entspricht doch ihr martialisches Auftreten gegenüber Juden der Gefühlslage eines weitaus breiteren Teils der franko-afrikanischen und franko-karibischen Jugend.

Im Rückblick erscheint die Ermordung Halimis als eine ziemlich logische Folge der vorangegangenen Bestrebungen, die diversen antijüdischen Klischees im Milieu der benachteiligten Migrantenfamilien zu einer gefährlich-geläufigen "Weltanschauung" zu bündeln. In Frankreich gingen diese Bestrebungen zwar nur von marginalen politischen und religiösen Kreisen aus, sie fanden aber in der Person des - ursprünglich - populärsten schwarzen Komikers des Landes ein charismatisches Sprachrohr und konnten sich auf eine, auch nach Europa ausstrahlende, mächtige Propaganda-Maschinerie in den moslemischen Ländern stützen, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll.


Holocaust-Gedenken statt Aufarbeitung von Kolonialismus und Sklaverei?

In den vergangenen zwanzig Jahren hatte es in Frankreich eine erneuerte, ganz besonders gründliche Beschäftigung mit dem Holocaust und der französischen Beteiligung an der Judenverfolgung unter dem Kollaborationsregime von Philippe Pétain gegeben. Diese Aufarbeitung fand breiten Niederschlag an den Schulen und in den Medien. Jacques Chirac hatte unmittelbar nach seinem Amtsantritt als Staatschef, im Juli 1995, die aktive Mithilfe des französischen Behördenapparats bei der Deportation der Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager der deutschen NS-Okkupanten gegeißelt (wozu sich sein Vorgänger, der Sozialist François Mitterrand, niemals durchringen konnte). Chirac sprach diesbezüglich von einer "untilgbaren Schuld" Frankreichs.

Endlich, kann man nur sagen. Endlich haben zumindest in Westeuropa die Meinungsträger und Regierenden den Holocaust in seiner vollen Dimension zur Kenntnis genommen und zum Angelpunkt eines neuen europäischen Selbstverständnis gemacht. Aber genau diese Wucht und Gründlichkeit, mit der etwa in Frankreich der sechzigste Jahrestag der Befreiung von Auschwitz begangen wurde, haben Reaktionen bei Bevölkerungsteilen hervorgerufen, die mit diesem historischen Kapitel in keiner Weise direkt verbunden sind. Ein Teil der Jugendlichen aus Familien, die aus Frankreichs ehemaligen Kolonien in Nord- und Schwarzafrika oder aus den noch immer französisch verwalteten Karibik-Inseln stammen, reagiert auf die öffentliche Erörterung des Holocausts mit Fragen nach der Verfolgungsgeschichte der eigenen Familien, was als höchst legitim erscheint, teilweise aber auch mit Neid und Hass auf die jüdische Minderheit.

Die Beschäftigung mit der Geschichte des Kolonialismus und der Sklaverei erhält zusätzliche Brisanz durch die häufige Diskriminierung, die Jugendliche aus arabischen oder schwarzafrikanischen Familien gegenwärtig erleiden, sei es auf dem Arbeitsmarkt, bei den beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten, bei der Wohnungssuche oder im Freizeitbereich, etwa bei Diskobesuchen.

Gegen diese Diskriminierungen haben sich Präsident Chirac und etliche weitere Entscheidungsträger zumindest verbal immer wieder engagiert. Es gibt Gesetze gegen Diskriminierung und Kampagnen gegen Ausgrenzung und Rassismus. Dieser öffentliche Diskurs greift aber in der gesellschaftlichen Realität nur ansatzweise und viel zu langsam. Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sind denkbar ungünstig: fast ein Viertel der (in keinem Ausbildungsverhältnis stehenden) Jugendlichen sind ohne Job. Damit verzeichnet Frankreich eine der höchsten Jugendarbeitslosenraten der EU. Bei Jugendlichen aus Migrantenfamilien ist diese Rate fast doppelt so hoch. Die Wut der dermaßen ausgegrenzten Jugendlichen entlud sich im November 2005 in wochenlangen brachialen Unruhen in Frankreichs Vorstadt-Gürteln.

Was aber hat das alles im Besonderen mit den Juden zu tun? Wohl nichts.

Bei Teilen der Jugendlichen aus Migrantenfamilien hat sich aber trotzdem, wider alle Vernunft, die Vorstellung verbreitet, ihre Probleme und das Unrecht, das ihren Vorfahren widerfahren ist, würde man nicht genügend zur Kenntnis nehmen, weil die Juden eine "Monopolstellung" als Opfer erlangt hätten. Der Essayist Alain Finkielkraut hat treffend formuliert: "Der Vorwurf des Neo-Antisemitismus an die Juden lautet, sie wären in allem Kapitalisten und jetzt auch besonders im Bezug auf das menschliche Leid."

Die Juden, so lautet der aktualisierte Mythos, hätten alle Macht in ihren Händen und würden diese gezielt nutzen, um Arabern und Afrikanern den Weg nach oben zu versperren und um sie an ihrer eigenen Geschichtsaufarbeitung zu hindern.


Der "Komiker" Dieudonné M'Bala M'Bala

Das klingt abstrus. Aber genau diese Vorstellung bestärkt in Frankreich der beliebte schwarze Komiker und Bühnenautor Dieudonné M'Bala M'Bala. Der Sohn eines Vaters aus Kamerun und einer Mutter aus der Bretagne, der für einen bedeutenden Teil der franko-afrikanischen und franko-karibischen Bevölkerung, und inzwischen auch für viele Franko-Araber, zu einer Art Bannerträger geworden ist, suggeriert dies bei seinen gut besuchten One-Man-Shows: Die Juden würden den Schwarzen den Weg zur Anerkennung ihrer Leidensgeschichte und Erlangung ihrer Gleichberechtigung verstellen. Das kommt, unter anderem, in vorgeblichen Witzen über die Bühne, also wenn er etwa den zuvor erwähnten Essayisten Alain Finkielkraut als durchgedrehten jüdischen Professor persifliert, der so nebenbei die Sklaverei wieder herbeiwünschen würde.

Das ist besonders infam, weil die meisten Intellektuellen und Persönlichkeiten im Kulturbereich, die aus jüdischen Familien stammen, sich seit Jahrzehnten gegen rassistische Diskriminierungen engagiert hatten. Die Antirassismus-Vereine, die vielfach von Juden mitgegründet worden waren, widmeten sich in den 1970er und 1980er Jahren fast ausschließlich der Bekämpfung des anti-arabischen und anti-schwarzen Rassismus. Holocaust und Antisemitismus spielten im Auftreten dieser Bewegungen eine eher untergeordnete Rolle. Im Gegensatz zu heute waren ja damals antijüdische Übergriffe eine Seltenheit, während sie heute zwei Drittel aller Taten ausmachen, die von den französischen Behörden als "rassistisch" eingestuft werden.

Der Verweis auf den Holocaust diente in den 1980er Jahren allenfalls dazu, die damals aufstrebende "Front national" des Rechtsaußen-Tribuns Jean-Marie Le Pen, etwas versimpelt, als Erbin der französischen Nazi-Kollaboration zu ächten und ihr die Aufnahme in das Spektrum der demokratisch akzeptablen Parteien zu verwehren. Le Pen hatte zu Beginn seiner ersten Erfolgsphase um einen (anti-arabischen) Schulterschluss mit den Vertretern jüdischer Gemeinden gebuhlt, war aber stets abgewiesen worden. Daraufhin und genau in dem zuvor geschilderten Argumentations-Zusammenhang ("Front national" = Nazi-Kollaborateure) richtete Le Pen eine Zeitlang seine namentlichen Attacken hauptsächlich gegen jüdische Persönlichkeiten.

Die Beschäftigung mit dem Holocaust versperrte also nicht die Sicht auf die Probleme der arabischen oder schwarzen Bevölkerung. Im Gegenteil: die meisten Personen, die sich mit dem Holocaust auseinandersetzten, waren oder wurden zu Gegnern des Rassismus. Und es ist wohl nie vorgekommen, dass Juden, in Gedenken an den Holocaust, die Erforschung und Anprangerung etwa der Sklaverei behindert hätten, wie das M'Bala M'Bala explizit behauptet.

Besonderes Aufsehen errang M'Bala M'Bala im Dezember 2003 als Stargast einer populären TV-Talkshow: während die Zahl der antijüdischen Übergriffe in Frankreich einen neuen Höhepunkt erreichte, trat er verkleidet als orthodoxer Jude auf, der eine Maschinenpistole umgeschnallt hatte und "Isra-Heil" rief. Knapp zuvor hatte er in einem Interview in der Webpublikation "Blackmap.com" bekannt: "Ich denke, die jüdische Lobby hasst die Schwarzen. Weil der Schwarze im kollektiven Unterbewusstsein das Leiden verkörpert, erträgt diese Lobby das nicht, weil das ihr Business ist. Jetzt genügt es, den Hemdsärmel hochzukrempeln, um seine Nummer herzuzeigen, und schon hat man ein Anrecht auf Anerkennung".

Als daraufhin eine Gruppe jüdischer Aktivisten eine seiner Shows zu stören versuchte, erklärte M'Bala M'Bala in einem Interview im Februar 2004 im Massenblatt "Journal du Dimanche": "Das sind alles Sklavenhändler, die sich jetzt aufs Bankenwesen, das Show-Business und den Terrorismus eines Ariel Sharon verlegt haben".

Am 29. Dezember 2004 feierte M'Bala M'Bala mit der letzten Darbietung seiner Show "Mes excuses" (Meine Entschuldigungen) einen Triumph. Der "Zenith", eine der größten Pariser Konzert-Hallen, war mit über 5000 Besuchern zum Bersten gefüllt. Immer wieder von dröhnendem Gelächter und anhaltendem Applaus unterbrochen, präsentierte sich M'Bala M'Bala als Opfer hinterhältiger Angriffe, für die er das "auserwählte Volk" und "die Zionisten" verantwortlich machte. Zum Abschluss gratulierten ihm der Judo-Champion Djamel Bourras ("Ich danke Dieudonné, er ist ein freier Mann. Es gibt gewisse Mächte, die uns Böses antun wollen") und der ebenfalls besonders populäre franko-marokkanische Komiker und Filmstar Djamel Debouzze ("Dieudonné sagt laut, was wir alle denken"). Die Journalistin Anne-Sophie Mercier, ursprünglich ein Fan des Komikers, bezeichnete in einem Enthüllungsband über M'Bala M'Bala (1) dieses Spektakel als "die größte antisemitische Versammlung in Paris seit 60 Jahren" (in Anspielung auf die antijüdischen Massenkundgebungen unter dem Kollaborationsregime von Philippe Pétain).

In der Folge unternahm er intensive Bemühungen um einen Schulterschluss mit islamischen Fundamentalisten (obwohl er sich gleichzeitig als Gegner "aller Religionen" präsentierte) und dem radikalsten Flügel des arabischen Nationalismus. Im Februar 2005 hatte er bejubelte Auftritte in Algier, ein Großteil der algerischen Presse feierte ihn als ein "Opfer der Zionisten". Bei seinen Bühnenauftritten verglich er sich mit Jesus, weil doch dieser von "derselben Lobby" verfolgt worden sei. Auf einer abschließenden Pressekonferenz in Algier bezeichnete er die öffentliche Beschäftigung mit dem Holocaust in Frankreich als "memorielle Pornographie".

In einem Gespräch, das der franko-arabische Radiosender in Paris, "Beur FM", im März 2005 ausstrahlte, verriet M'Bala M'Bala, er habe die Seiten, die sich mit dem Holocaust beschäftigen, aus den Schulbüchern seiner Kinder "herausgerissen". Daraufhin äußerten erstmals prominente schwarze Intellektuelle Ablehnung gegenüber Dieudonné M'Bala M'Bala. Die meisten französischen Medien traten ihm vehement entgegen.


Dieudonné schwenkt zu Le Pen, Hooligans funken dazwischen

Allerdings erntete M'Bala M'Bala öffentlichen Zuspruch von Seiten des Vizechefs der "Front national", Bruno Gollnisch. Dieser enge Vertraute von Le Pen hatte die Existenz der Gaskammern in den NS-Vernichtungslagern angezweifelt und musste sich dafür vor Gericht verantworten.

Bereits 2004 hatte sich M'Bala M'Bala auch direkt in die politische Arena als Gründer der Bewegung "Euro-Palestine" begeben. Diese Bewegung vereinigte einen Teil der französischen Palästina-Solidaritätskomitees und kandidierte als eigene Liste bei den EU-Wahlen in der Region um Paris. Insgesamt erhielt sie nur 1,83 Prozent der Stimmen, in einigen Siedlungen mit hohem franko-arabischen Bevölkerungsanteil kletterte sie aber auf bis zu zehn Prozent Wähleranteil.

Bei der Wahl der drei wichtigsten schwarzen Persönlichkeiten, die eine Net-Publikation schwarzer Aktivisten ("Africa-Maat.com") im März 2005 organisierte, erlangte Dieudonné M'Bala M'Bala mit 8000 Stimmen den Spitzenplatz. Seine Kampagne für eine von ihm beabsichtigte eigene Kandidatur bei den französischen Präsidentenwahlen 2007 scheiterte aber bereits im Vorlauf.

Als Trost für diesen Rückschlag und um medial weiter präsent zu bleiben, vollzog M'Bala M'Bala einen Schwenk zu Jean-Marie Le Pen. Dem alljährlichen Parteifest der "Front national" am Pariser Stadtrand im November 2006 (bei dem übrigens auch NPD und FPÖ vertreten waren) erstattete M'Bala M'Bala einen ebenso überraschenden wie spektakulären Besuch. Bei einer kurzen Begegnung, die den Anschein der Zufälligkeit hatte, aber, wie sich später herausstellte, beidseitig wohl vorbereitet war, reichten sich Le Pen und M'Bala M'Bala die Hand. "Ich bin entzückt Sie hier zu sehen," säuselte ein strahlender Le Pen und erläuterte später: "Wenn Dieudonné hergekommen ist, dann wohl weil er uns gar nicht so fern steht. Wenn mir eine Stimme fehlen sollte, um gewählt zu werden, wäre ich sehr zufrieden, wenn die Stimme von Dieudonné käme."

Eine Umfrage bescheinigte Le Pen im November 2006 einen potentiellen Wählerstand von 17 Prozent - also genau so viel wie bei den Präsidentenwahlen 2002, als der Rechtstribun ein Politerdbeben auslöste, indem er im ersten Wahlgang den sozialistischen Kandidaten und Premier Lionel Jospin knapp übertraf und in die Stichwahl gegen Jacques Chirac gelangte. Bei einer weiteren Umfrage im Dezember 2006 erklärten sich gar 26 Prozent "einverstanden mit den Ideen von Jean-Marie Le Pen" - ebenfalls ein Rekord.

Nicht unerheblich dabei ist der Umstand, dass der Beraterstab des Rechtstribuns sich neuerdings bemüht, auch Jungwähler aus arabischen, afrikanischen und franko-karibischen Familien zu ködern. Dazu wurde sogar ein Wahlplakat gestaltet, auf der eine junge Schwarze für Le Pen wirbt.

"Le Pen reicht den Franzosen ausländischer und vor allem afrikanischer Abstammung die Hand", versicherte seinerseits M'Bala M'Bala. Er rufe zwar "noch nicht dazu auf, Le Pen zu wählen", man müsse aber "aufhören, diesen Mann zu verteufeln." Und: "Wenn Le Pen nach links geht, wie es den Anschein hat, sehe ich nicht ein, weshalb ich ihm nicht folgen sollte."

Eine Wende hin zu Le Pen vollzog knapp darauf auch Ahmed Moualek, ein franko-arabischer Vertrauter von M'Bala M'Bala, der als Chef einer nicht unbedeutenden Internet-Publikation ("La banlieue s'exprime", sinngemäß: Die Vororte melden sich zu Wort) über einen gewissen Einfluss unter Jugendlichen aus Migrantenfamilien und in der Vororte-Szene verfügt. In einem Interview in der rechtsradikalen Zeitung "Minute" erklärte Moualek: Es sei "vorteilhafter mit einem klugen Rassisten als mit einem idiotischen Antirassisten zu diskutieren. Und Le Pen ist weder ein Idiot noch ein Rassist … Er ist ehrlich".

Der eigentliche gemeinsame Nenner zwischen diesen Hetzern und dem Kern ihrer jeweiligen Anhängerschaft ist ihr mehr oder weniger eingestandener Judenhass. Diese Art von unterschwellig antijüdischem Brückenschlag könnte freilich durch einen dramatischen Vorfall Ende 2006 auf Seiten der schwarzen Bevölkerung Frankreichs in Verruf geraten sein.

Bei einem Fußballmatch in Paris, im November 2006, zwischen der Pariser Mannschaft PSG und der "Hapoel" aus Tel Aviv bezwangen die Israelis mit 4 zu 2 die Gastgeber. Nach Ende des Spiels provozierten und schlugen hunderte Pariser Hooligans vereinzelte jüdische Zuschauer. Ein jüdischer Jugendlicher, der von dutzenden Hooligans verfolgt worden war, konnte sich dank des Einsatzes eines - schwarzen - Polizisten retten. Der ebenfalls isolierte und in Zivilkleidung auftretende Polizist hatte erst versucht die Meute mit einer Tränengasbombe in Schach zu halten, war aber zu Boden gestürzt und gab schließlich mit seiner Dienstwaffe einen Schuss ab: ein Angreifer starb, ein weiterer wurde verletzt. Die Menge hatte anfänglich "Dreckiger Jude" gegrölt, war aber bei Anblick des schwarzen Polizisten auf Rufe wie "Dreckiger Neger", "Le Pen Präsident" und "Frankreich den Franzosen" umgesattelt.

Der Vorfall, der die französische Öffentlichkeit schwer erschütterte, rückte die rechtsextrem infizierte Pariser Hooligan-Szene ins Rampenlicht. Diese hatte seit Jahren schwarze Spieler mit nachgeahmten Affenlauten geschmäht und immer wieder nach Spielschluss schwarze und manchmal auch arabische Passanten tätlich angegriffen. Erst Anfang November waren zwei PSG-Fans zu unbedingten Haftstrafen verurteilt worden, weil sie anlässlich eines Auswärtsspiels in der Stadt Le Mans einen Franko-Senegalesen schwer misshandelt hatten.


Juden in Migrantenvierteln: eine Minderheit in der Minderheit

M'Bala M'Bala hat freilich etwas geortet und weitervermittelt, das bei einem Teil der Jugendlichen in den Vorstädten durchaus Schule macht: Man kann enormes mediales Aufsehen erregen und heftigste politische Reaktionen auslösen, wenn man auf Juden losgeht, weil man da einen höchst sensiblen Nerv der französischen Mehrheitsgesellschaft trifft.

Die Vorstellung ist nun mal verlockend, jemanden, einen Gegner, eine Gruppe, einen Klan dingfest zu machen, dem man einerseits eine großartige Macht unterstellen kann, von dem man aber insgeheim weiß, dass er sich in einer potentiellen Schwächeposition befindet.

Der erste Faktor für diese Schwächeposition ist rein statistischer Natur: Verhältnismäßig viele Juden wohnen und arbeiten zwar noch immer in Randvierteln und Vorstädten, sie sind also direkt greifbar, sie befinden sich aber gleichzeitig in einer hoffnungslosen Unterlegenheit, weil sie heute, im Gegensatz etwa zu den 1970er Jahren, in diesen Vierteln eine isolierte Minderheit darstellen. Ein Teil der jüngeren jüdischen Generationen (ebenso wie ein Teil der jüngeren Moslems) sind beruflich aufgestiegen und weggezogen. Diejenigen, die in den städtischen Randzonen übrig geblieben sind, fallen also quantitativ kaum mehr ins Gewicht angesichts der sie umgebenden, zum Teil neu eingewanderten Mehrheit moslemischer Familien. An diesen Mehrheitsverhältnissen wird sich auch kaum mehr etwas ändern, zumal der allergrößte Teil der Juden aus dem Maghreb bereits ausgewandert ist.

Neben diesem ersten, direkten Grund für die Hilflosigkeit dieser Juden, der Handgreiflichkeiten gegen sie so verlockend macht, gibt es noch einen zweiten, unterschwelligeren und diffuseren Faktor: Auch zu einem Teil der Migrantenjugend ist durchgesickert, dass in den christlichen Gesellschaften eine lange Tradition des Judenhasses vor nicht allzu langer Zeit erst, auf öffentlicher Ebene, abgelegt wurde, dass aber dieser Hass noch bei so manchem Europäer, zumindest auf Sparflamme, weiterschwelt. Dass also die Duldung der Juden auf doch nicht so festem Fundament fußt. Das lässt die Hoffnung keimen, man könnte da gegen einen jüdischen Sündenbock einen Schulterschluss mit der französischen Mehrheitsgesellschaft zustande bringen.

Vor allem aber hat in der informellen Parallelkultur der Vorstadtjugend der Slangbegriff für Juden, das Wort "Feuj", das ursprünglich eher als wertfreie Bezeichnung galt, in den allerletzten Jahren eine tendenziell negative Bedeutungsaufladung erfahren. Wenn in einer Schulklasse jemand seinen Stift oder sein Heft nicht herleihen möchte oder wenn er angibt, sagen Kinder: "Der führt sich auf wie ein Feuj". Die Juden werden also wieder als geizig, egoistisch, machtgierig, anmaßend etikettiert.

Diese Vorwürfe an eine Minderheit, der man den Ausbruch aus ihrer untergeordneten Position nicht gestatten möchte, diese Klischees, die gleichermaßen aus dem christlichen und islamischen Fundus stammen, sind in der Subkultur eines Teils der Vorstadtjugend in Frankreich wieder aufgetaucht und untereinander verschmolzen.

Klarerweise wurden diese altneuen Klischees im Rahmen des Nahost-Konflikts massiv aktiviert. Arabische Fernsehstationen, darunter auch jene Sender, die in ihrer Berichterstattung den Staat Israel im Besonderen und die Juden im Allgemeinen als Grundübel der Menschheit darstellen, erreichen auch in Frankreich ein breites Publikum unter den Migrantenfamilien. Da werden die hirnrissigsten antijüdischen Verleumdungen aufgetischt, die man in Europa sonst wohl kaum noch hört: Israelische Soldaten würden arabische Kinder töten, um ihr Blut für jüdische Festtags-Rituale zu verwenden. Jüdische Ärzte hätten AIDS erfunden, um die arabischen Völker damit zu infizieren. Israelische Atomversuche hätten den Tsunami ausgelöst. Religiöse Prediger bezeichnen Juden (und gelegentlich auch Christen) als Abkömmlinge von Schweinen und Affen …

Meistens laufen die blutrünstigsten antijüdischen Serien während des Fastenmonats Ramadan. Also während die religiöse Inbrunst ihren Höhepunkt erreicht und die moslemischen Familien oft vollzählig vor den TV-Schirmen versammelt sind. Das erinnert an die christlichen Osterzeremonien, also das Gedenken an die Kreuzigung von Jesus, die in Europa immer wieder Anlass für Gewalttaten gegen Juden boten. Der Zusammenhang ist auch insofern gegeben, als diese Filme arabischer TV-Sender fast immer auch Elemente aus dem christlichen